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Obwohl es während der NS-Zeit keine gesetzliche Anzeigepflicht gab, fühlten sich überzeugte NationalsozialistInnen sowie NS-SympathisantInnen oftmals verpflichtet, politisch anders Denkende, Deserteure oder Juden und Jüdinnen, die als »U-Boote« versteckt waren, bei den NSDAP-Behörden, bei der Gestapo oder der Polizei anzuzeigen.

Die zahlreichen Denunziationen während der NS-Herrschaft blieben in der Nachkriegszeit nicht ungesühnt. Mit dem § 7 KVG wurde eine eigene gesetzliche Bestimmung zur Ahndung von Denunziationsverbrechen geschaffen. Insgesamt saßen mehr als 3100 Personen wegen Denunziation auf der Anklagebank des Volksgerichts Wien.

Die Beschuldigten versuchten ihre Handlungen vor den Volksgerichten sehr oft zu verharmlosen, wälzten die Schuld auf andere ab oder beriefen sich auf eine gewisse »Zwangslage« und auf ihre »Pflicht als Staatsbürger«. Viele behaupteten, dass sie nicht vorhersehen hätten können, dass die Denunziation eine Gefahr für das Leben der/des Betroffenen nach sich ziehen würde. Andere wieder verleugneten alle gegen sie erhobenen Vorwürfe. Nur ein kleiner Teil der DenunziantInnen bekannte sich schuldig.

Verfahren gegen Otto Hartmann

Der Burgtheaterschauspieler Otto Hartmann wurde vom Volksgericht Wien am 22. November 1947 zu lebenslangem schwerem Kerker verurteilt, da er 1940 die Mitglieder der drei österreichischen Freiheitsbewegungen, die von Pater Karl Roman Scholz, Dr. Jakob Kastelic und Dr. Karl Lederer geleitet wurden, denunziert hatte.

Als Organisationsleiter der Gruppe Scholz und als Beteiligter beim geplanten Zusammenschluss in eine einheitliche politische Bewegung der drei Organisationen war er genau über die Aktivitäten informiert. Was keiner ahnen konnte, war, dass Hartmann bei der Gestapo als Spitzel tätig war und über alle Vorkommnisse Mitteilung machte. Die Folgen der Denunziation waren Einzel- und Massenverhaftungen ab Juli 1940. Die Mitglieder der Österreichischen Freiheitsbewegung wurden vor den NS-Volksgerichtshof gestellt. Mehrere Personen wurden zum Tod verurteilt, darunter Karl Roman Scholz, Jakob Kastelic und Karl Lederer.

Verfahren gegen Johann Pav

Johann Pav gehörte verschiedenen sozialistischen Vereinigungen an. 1926 wurde er Sportberichterstatter und später Redakteur der »Arbeiter-Zeitung«. Als nach dem Februarputsch des Jahres 1934 die sozialdemokratische Partei verboten wurde, setzte ein Teil der ehemaligen Funktionäre, die sich »Revolutionäre Sozialisten« (RS) nannten, die illegale Arbeit fort. Pav war dabei in führender Stellung, ab 1936 als Organisationsleiter der RS, in Wien tätig. Nach dem »Anschluss« im März 1938 wurde Pav von der Gestapo verhaftet, kam jedoch nach kurzer Zeit wieder frei und arbeitete in der Folge als Spitzel für die Gestapo. Er verriet die Organisation der Wiener RS, soweit sie ihm bekannt war. Am 22. August 1939 wurden (fast) alle führenden Funktionäre der RS – bis auf Johann Pav – festgenommen. Zu den Denunzierten zählten unter anderem Franz Olah (1959–1963 Präsident des Österreichischen Gewerkschaftsbundes und 1963–1964 Innenminister), Käthe Leichter (Frau des Redakteurs der »Arbeiter-Zeitung« Dr. Otto Leichter) oder Rosa Jochmann (Nationalratsabgeordnete von 1945–1967).

Pav war sich seines schuldhaften Verhaltens bewusst. In seiner Rechtfertigungsschrift vom 19. Mai 1945 an den Vorsitzenden des Parteivorstandes der SPÖ schrieb er von schwersten Verfehlungen, deren er sich als Parteiangehöriger schuldig gemacht hatte, und rechtfertigte sich damit, dass er zweimal verhaftet worden war und durch Drohungen und Misshandlungen zu den Denunziationen gezwungen worden wäre. Am 18. Jänner 1947 wurde Pav zu 15 Jahren Haft und Vermögensverfall verurteilt. Als Milderungsgründe wurden sein teilweises Tatsachengeständnis und der Umstand, dass er zum Teil unter dem Druck der Gewaltmethoden der Gestapo tätig gewesen war, gewertet.

Verfahren gegen Rosa S.

Die Angeklagte Rosa S. denunzierte 1942 ihren jüdischen Ehegatten Michael Schwarz wegen kommunistischer Betätigung, da sie sich wegen eines anderen Mannes scheiden lassen wollte. Michael Schwarz wurde 1943 nach Auschwitz deportiert, wo er am 25. November 1943 ermordet wurde.

Auch gegen ihre sieben Kinder aus der Ehe mit Michael Schwarz erstattete sie Anzeige. Ihre Tochter Hilda wurde zu sechs Wochen Arrest verurteilt, weil sie den »Judenstern« nicht getragen hatte. Ihr Sohn Erwin wurde ebenfalls zu sechs Wochen Arrest verurteilt, da er angeblich eine Beziehung mit einem »arischen« Mädchen hatte. Beide wurden zu einem späteren Zeitpunkt nach Theresienstadt überstellt, konnten aber überleben.

Rosa S. wurde zu fünf Jahren Haft wegen Denunziation ihres Mannes, wegen Misshandlung und Quälereien sowie Verletzung der Menschenwürde und der Menschlichkeit verurteilt. Hinsichtlich der Denunziation ihrer Kinder Erwin und Hilda wurde sie aus Mangel an Beweisen freigesprochen.


 

 
Otto Hartmann
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Otto Hartmann denunzierte Mitglieder der drei Österreichischen Freiheitsbewegungen.

Aussage von Paul Hörbiger
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Niederschriftliche Vernehmung von Paul Hörbiger vom 13. Juli 1945 betreffend Otto Hartmann.

Johann Pav
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Johann Pav vor dem Volksgericht Wien.

Aussage von Rosa Jochmann Zeitungsartikel »Kinder klagen an«

Verfahren wegen Denunziation