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»Niedermoser-Prozess«

Der erste Prozess in Österreich wegen der Ermordung geistig und körperlich behinderter Menschen wurde vom 20. März bis 3. April 1946 vor dem Außensenat Klagenfurt durchgeführt. Die Anklage warf dem leitenden Arzt der Landes-Irrenanstalt und des angrenzenden Landes-Siechenhauses, Dr. Franz Niedermoser, und 12 Angehörigen des Pflegepersonals vor, während der NS-Herrschaft Hunderte Menschen unter Ausnützung dienstlicher Gewalt in ihrer Menschenwürde verletzt und auf brutale und grausame Weise getötet zu haben.

Dr. Franz Niedermoser wurde am 4. April 1946 zum Tod durch den Strang verurteilt und am 16. November 1946 im Landesgericht Klagenfurt hingerichtet. Das Gericht nahm auf Grund der Geständnisse der Angeklagten als erwiesen an, dass mindestens 400 PatientInnen der Landes-Irrenanstalt und des Landes-Siechenhauses Klagenfurt auf seine Anordnung vorsätzlich ermordet worden waren.

Über drei Mitangeklagte, Oberpfleger Eduard Brandstätter, Oberschwester Antonie Pachner und Oberpflegerin Ottilie Schellander, verhängte das Gericht ebenfalls die Todesstrafe. Eduard Brandstätter verübte am Tag der Urteilsverkündung Selbstmord. Am 19. Oktober 1946 begnadigte der Bundespräsident Ottilie Schellander zu lebenslangem schweren Kerker und Antonie Pachner zu zwanzig Jahren schwerem Kerker. Pachner verstarb am 8. April 1951 im Gefängnis. Im Rahmen einer neuerlichen Begnadigung wurde Schellander am 1. April 1955 bedingt aus der Haft entlassen.

Über fünf Mitangeklagte verhängte der Außensenat Klagenfurt Haftstrafen von fünfzehn und zehn Jahren. Sie wurden nach sieben beziehungsweise fünf Jahren Haft vorzeitig begnadigt und bedingt entlassen. Vier Mitangeklagte wurden freigesprochen.

Der 1. Steinhof-Prozess

Von 15.–18. Juli 1946 standen der Facharzt für »Nerven- und Geisteskrankheiten« Dr. Ernst Illing sowie die beiden Ärztinnen Dr. Marianne Türk und Dr. Margarethe Hübsch vor dem Volksgericht Wien. Der deutsche Staatsangehörige Illing arbeitete an der Leipziger Nervenklinik und war in der Folge Gauhauptstellenleiter im Rassenpolitischen Amt. 1942 übernahm Illing die Leitung der »Kinderfachabteilung« Am Spiegelgrund in Wien. Auf seine Anordnung hin wurde den Kindern Gift, meist Luminal, in die Speisen gemischt, und zwar in einer so niedrigen Dosierung, dass der Tod erst nach Stunden, oft auch erst nach Tagen eintrat. Wenn das Luminal nicht wirkte, wurden Morphiuminjektionen verabreicht.

Ernst Illing wurde vom Volksgericht Wien zum Tode verurteilt und am 23. November 1947 hingerichtet, Marianne Türk erhielt eine Haftstrafe von 10 Jahren, Margarethe Hübsch wurde mangels an Beweisen freigesprochen.

»Arbeitsanstalt für Asoziale Frauen«, Wien-Steinhof

Im Nationalsozialismus standen Arbeits-, Einsatz,- und Leistungsfähigkeit im Mittelpunkt. Menschen, die nicht den vorgegebenen Normen und Wertvorstellungen der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft entsprachen, sollten in eigens zu diesem Zweck errichteten Arbeitslagern durch entsprechenden Zwang und Druck umerzogen werden. Am 1. November 1941 wurde auf dem Gelände der Heil- und Pflegeanstalt Am Steinhof im Pavillon XXIII die »Arbeitsanstalt für Asoziale Frauen« eingerichtet.

Verfolgt und verhaftet wurden Frauen ohne festen Wohnsitz, Prostituierte, aber auch Mütter, die sich wegen ihrer Kinder weigerten, in Rüstungsbetrieben zu arbeiten. In der Regel konnte jede Frau, die nicht den festgelegten sozialen Normen entsprach, willkürlich festgenommen und interniert werden. Gleich bei der Einlieferung wurden betroffene Frauen durch Beschimpfungen und Schläge erniedrigt und gedemütigt. Um ihren Willen zu brechen, sperrten Angehörige des Pflegepersonals sie nackt in Zellen ein und verabreichten im Auftrag des ärztlichen Leiters Apomorphin-Injektionen, die Übelkeit und Brechreiz bewirkten.

Am 30. Oktober 1946 verhängte das Volksgericht Wien über den ärztlichen Leiter Dr. Alfred Hackel wegen Misshandlung und Verletzung der Menschenwürde eine zwanzigjährige Kerkerstrafe. Zwei Pflegerinnen wurden zu fünfzehn bzw. fünf Jahren verurteilt; zwei Pflegevorsteher erhielten Gefängnisstrafe von drei und 1½ Jahren. Eine angeklagte Oberpflegerin wurde freigesprochen.

Dr. Maximilian Thaller, Nachfolger von Alfred Hackel als Leiter der »Arbeitsanstalt für Asoziale Frauen«, wurde wegen Misshandlung und Verletzung der Menschenwürde am 25. Oktober 1948 zu 2 Jahren schweren Kerkers verurteilt.

Am 2. Dezember 1948 gab das Volksgericht Wien den Wiederaufnahmeanträgen Dr. Hackels und der verurteilten Pflegepersonen statt und hob die Urteile auf. Grundlage für die Wiederaufnahme des Verfahrens waren Zweifel des Gerichts an der Glaubwürdigkeit der teilweise entmündigten und vorbestraften ZeugInnen. Kurz vor Weihnachten 1948 fällte das Volksgericht Wien das Urteil im Wiederaufnahmeverfahren: Dr. Hackels Strafe wurde von zwanzig auf sechs Jahre herabgesetzt. Eine Pflegerin erhielt, im Gegensatz zu 15 Jahren im ersten Verfahren, nun 2½ Jahre. Drei weitere mitangeklagte Angehörige des Pflegepersonals wurden freigesprochen.

Mauer-Öhling und Gugging (NÖ)

Der auf Grund der Anzahl von Beschuldigten – politisch Verantwortlichen, Ärzten und Angehörigen des Pflegepersonals – umfangreichste Prozesse in Österreich wegen Euthanasieverbrechen fand vom 14. Juni bis 14. Juli 1948 – mit einer Unterbrechung vom 26. Juni bis 5. Juli – vor dem Volksgericht Wien statt. Angeklagt waren insgesamt 23 Personen wegen der Ermordung von PatientInnen der niederösterreichischen Anstalten Mauer-Öhling bei Amstetten und Maria Gugging bei Wien.

Das Gericht sprach insgesamt 12 angeklagte Ärzte und Pfleger schuldig und verhängte über die beiden Haupttäter Kerkerstrafen von zwölf und zehn Jahren. Angehörige des Pflegepersonals wurden wegen Mitschuld am Verbrechen des bestellten Meuchelmordes zu mehrjährigen Haftstrafen zwischen zwei und vier Jahren verurteilt. 8 Angeklagte wurden freigesprochen, ein verantwortlicher Primararzt konnte krankheitshalber nicht vor Gericht gestellt werden. Das Verfahren gegen den Direktor der Heil- und Pflegeanstalt Mauer-Öhling war bereits vor Prozessbeginn wegen Tod des Beschuldigten eingestellt worden.

Die zu Haftstrafen zwischen zwei und zweieinhalb Jahren Verurteilten gingen bereits wenige Wochen nach Prozessende wieder frei, da die zweijährige Untersuchungshaft in das Strafausmaß eingerechnet wurde. Die restlichen Verurteilten wurden vor 1949 begnadigt. Funktionäre beider Großparteien (SPÖ und ÖVP) unterstützten die Begnadigungsansuchen.

Der Hauptverantwortliche für die Morde in den niederösterreichischen Anstalten Mauer-Öhling und Gugging bei Wien, Dr. Emil Gelny, tötete mit Unterstützung des Pflegepersonals mehrere Hundert Menschen. Im April 1945 kehrte Gelny nach Mauer-Öhling zurück, um mit Hilfe eines von ihm selbst zu einem Tötungsinstrument umgebauten Elektroschockgeräts bis 25. April noch über 100 PatientInnen zu ermorden. Er konnte zu Kriegsende untertauchen und wurde niemals vor Gericht gestellt.

Dr. Heinrich Gross

Der Wiener Arzt Heinrich Gross war Mitarbeiter des Leiters der »Kinderfachabteilung« Am Spiegelgrund in Wien-Steinhof. Das Urteil des Volksgerichts gegen Dr. Gross vom 29. März 1950 (2 Jahre wegen Mitschuld am Totschlag) wurde vom Obersten Gerichtshof aufgehoben, da das Gesetz zum Nachteil von Gross unrichtig angewandt worden war und der OGH gegen das Verfahren erhebliche Bedenken hatte. Das Verfahren wurde 1951 ohne neuerliche Gerichtsverhandlung eingestellt. Gross konnte seine Karriere als Wissenschafter und Gerichtsgutachter ungehindert fortsetzen.

1999 wurde Gross wegen des Verdachts der Ermordung von Kindern in der Wiener »Kinderfachabteilung« Am Spiegelgrund angeklagt. Am 21. März 2000 wurde der Prozess wegen angeblicher Verhandlungsunfähigkeit des Angeklagten unterbrochen. Heinrich Gross starb Ende 2005.


 
Weitere Informationen zum Beitrag: Kindereuthanasie und Zwangserziehung
Weitere Informationen zum Beitrag: Aktion »T4«
Weitere Informationen zum Beitrag: Die dezentralen Anstaltsmorde (»Wilde Euthanasie«)

Download:  Beschluss des Volksgerichts vom 2. Dezember 1948 auf Wiederaufnahme des Verfahrens gegen Alfred Hackel u. a.

 
Ernst Illing
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Dr. Ernst Illing, 1942 bis 1945 ärztlicher Direktor der »Nervenklinik für Kinder Am Spiegelgrund« und einer der Hauptverantwortlichen für die Kindereuthanasie in Wien.

Alfred Hackel
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Dr. Alfred Hackel, Leiter der »Arbeitsanstalt für Asoziale Frauen«, Wien-Steinhof, vom 1. November 1941 bis Februar 1943.

Maximilian Thaller
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Dr. Maximilian Thaller, Leiter der »Arbeitsanstalt für Asoziale Frauen«, Wien-Steinhof, von Februar 1943 bis Mai 1945.

Vg-Akt gegen Heinrich Gross Anklageschrift gegen Heinrich Gross
Vg-Urteil gegen Heinrich Gross Aufhebungsbeschluss
»Kurier«-Artikel über Heinrich Gross, 1978

Ahndung von Euthanasieverbrechen