Entnazifizierung
Einführung
Entnazifizierung in Österreich
Alliierte Prozesse
Prozesse im Ausland
# Volksgerichtsprozesse
Geschworenenprozesse
Forschungsstelle Nachkriegsjustiz
home
Up
Down

Recht im Krieg (Völkerrecht, Völkerkriegsrecht)

Haager Landkriegsverordnung

Im Rahmen von zwei internationalen Konferenzen 1899 und 1907 in Den Haag einigten sich über vierzig Staaten auf ein Abkommen über »Gesetze und Gebräuche« des Landkrieges (Haager Landkriegsverordnung). Zentrale Punkte waren u. a. die Behandlung von Kriegsgefangenen, Kranken und Verwundeten und der Schutz der Zivilbevölkerung.

Genfer Abkommen

1929 erfolgte auf einer internationalen Konferenz in Genf eine Ergänzung der Haager Landkriegsverordnung. Dabei wurde vor allem der Schutz der Kriegsgefangenen erweitert. Die Signatarstaaten verpflichteten sich zur gegenseitigen Einhaltung des Abkommens. Für den Fall, dass ein kriegsführender Staat den Vertrag nicht ratifiziert hatte, war das Abkommen gegenüber diesem zwar nicht verbindlich, allerdings waren auf jeden Fall die im Völkergewohnheitsrecht verankerten Grundsätze einzuhalten.

Nach den Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs wurde das Genfer Abkommen von 1929 durch die vier Genfer Konventionen 1949 ersetzt, die 1977 durch zwei Zusatzprotokolle ergänzt wurden. 1998 wurden sämtliche Kriegs- und Humanitätsverbrechen im so genannten Rom Statut definiert, zu ihrer Ahndung wurde 2002 der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag eingerichtet.

Völkergewohnheitsrecht

Das Völkergewohnheitsrecht ist kein vertraglich festgeschriebenes Recht, sondern wird aus dem nationalen und internationalen »Kriegsgebrauch« abgeleitet. Darauf wird zurückgegriffen, wenn ein Krieg führender Staat keinem der oben erwähnten Abkommen beigetreten ist.

Der wichtigste Grundsatz des Völkergewohnheitsrechts ist die Unterscheidung zwischen Angehörigen von militärischen Einheiten der kriegführenden Parteien (»Kombattanten«) und unbewaffneten Zivilisten (»Nicht-Kombattanten«).

Durch internationale Abkommen wurde im 20. Jahrhundert die Kriegführung nach und nach bestimmten Einschränkungen unterworfen, die inzwischen ebenfalls Bestandteil des Völkergewohnheitsrechts geworden sind und daher auch von Krieg führenden Parteien zu beachten sind, die diesen Abkommen nicht beigetreten sind.

Im Zweiten Weltkrieg waren noch »Kriegsgebräuche« üblich, die inzwischen als Kriegsverbrechen gelten. Dazu zählt das Recht auf Repressalien: Unter Berufung auf kriegsnotwendige Maßnahmen und um die Besatzungsherrschaft zu sichern, konnten ZivilistInnen als Geiseln genommen und im Extremfall auch erschossen werden. Häufig wurden allerdings diese Ausnahmebestimmungen des Völkergewohnheitsrechts als Rechtfertigung für Kriegsverbrechen verwendet. Trotz dieser Ausnahmebestimmungen zog auch das damals geltende Kriegsrecht eine deutliche Grenze zwischen Recht und Unrecht.

Völkermord, Kriegs- und Humanitätsverbrechen

Bereits der Erste und in Besonderem der Zweite Weltkrieg waren keine Kriege zwischen Armeen in herkömmlichen Sinne, sondern auch Kriege gegen die Zivilbevölkerung der einzelnen Staaten. Schon nach Ende des Ersten Weltkriegs stand eine Ahndung dieser Verbrechen durch einen internationalen Gerichtshof zur Diskussion. Es wurden jedoch nur vereinzelt Prozesse mit unbefriedigendem Ausgang geführt. Erst durch die Internationalen Militärtribunale von Nürnberg und Tokio nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Ahndung von Kriegs- und Humanitätsverbrechen zu einem Bestandteil der internationalen Rechtsordnung.

Für Verbrechen, die nicht im Zuge von Kampfhandlungen begangen wurden, setzte sich der Begriff Humanitätsverbrechen (»Crimes against Humanity«, Verbrechen gegen die Menschlichkeit) durch. In der Völkermordkonvention von 1948 trug die UNO allen Mitgliedsstaaten auf, das schlimmste dieser Verbrechen, den Völkermord (»Genocide«), strafrechtlich zu verfolgen.

Verfolgung von Kriegsverbrechen durch die österreichische Justiz

Im Rahmen der nach Kriegsende einsetzenden strafrechtlichen Verfolgung von NS-Verbrechen wurden von der österreichischen Justiz auch zahlreiche Verfahren wegen Kriegsverbrechen an Soldaten und Zivilisten der von der Deutschen Wehrmacht besetzten Länder geführt. Die Aburteilung von Verbrechen an alliierten Soldaten oder Kriegsgefangenen – besonders abgeschossene und notgelandete Fallschirmspringer – erfolgte in vielen Fällen allerdings nicht durch die österreichischen Volksgerichte, sondern durch Militärgerichte der vier Besatzungsmächte.

Fallbeispiel: Ermordung von Kriegsgefangenen

Im Februar 1945 wurde in Wien-Ottakring, auf dem Gelände der Lorenz-Mandel-Schule, ein Lager für rumänische Kriegsgefangene errichtet. Im Zuge der Räumung des Lagers am 6. April 1945 erschossen SS-Männer 16 bettlägerige Kriegsgefangene. Ungefähr 550 Rumänen mussten zu Fuß von Wien über Stockerau (Niederösterreich) nach Braunau am Inn (Oberösterreich) marschieren. Während des einmonatigen Evakuierungsmarsches ermordeten Angehörige der Bewachungsmannschaft schätzungsweise über 80 Kriegsgefangene.

Nach der Befreiung Österreichs setzte die strafrechtliche Verfolgung der Täter durch das Volksgericht Wien ein. Die Staatsanwaltschaft Wien legte in der Anklageschrift den Tätern Verbrechen an Kriegsgefangenen, die den natürlichen Anforderungen der Menschlichkeit und den allgemein anerkannten Grundsätzen des Kriegs- und Völkerrechts widersprachen, zur Last.

Der Haupttäter Rudolf Belada wurde am 14. Jänner 1948 vom Volksgericht Wien wegen Kriegsverbrechen, Verbrechens der Quälereien und Misshandlungen und Verbrechens der Verletzungen der Menschlichkeit und der Menschenwürde zu lebenslänglichem schweren Kerker verurteilt. Über 4 weitere Mitangeklagte verhängte das Gericht Kerkerstrafen in der Höhe von fünfzehn, zehn, drei und zwei Jahren. Vier Mitangeklagte wurden freigesprochen.

Fallbeispiel: Ermordung von Zwangsarbeitern

Als sich im April 1945 die sowjetischen Truppen Krems a. d. Donau näherten, ordnete die NSDAP die Räumung eines für Zwangsarbeiter eingerichteten Lagers an. Ein kurz zurückgekehrter Ukrainer wurde – laut Zeugenaussagen – von einem aus Kroatien stammenden Volkssturmangehörigen auf Druck seines Vorgesetzten Johann Deli ermordet. Weiters wurde Deli vorgeworfen, einen zweiten Ukrainer empfindlich misshandelt zu haben.

Das Volksgericht Wien verurteilte am 14. November 1947 Johann Deli wegen Verbrechens der Mitschuld am Mord, wegen Verbrechens der Quälereien und Misshandlungen und wegen einer den natürlichen Anforderungen der Menschlichkeit widersprechenden Tat mit Todesfolge (Kriegsverbrechen) zum Tod durch den Strang.

Der Verurteilte wurde vom Bundespräsidenten am 21. Februar 1948 begnadigt, die Todesstrafe in eine lebenslange Kerkerstrafe umgewandelt. Einem Antrag des Johann Deli auf Wiederaufnahme seines Verfahrens gab das Volksgericht Wien am 2. Februar 1951 statt und hob das Ersturteil auf. Im Juli 1951 wurde er von allen gegen ihn erhobenen Tatvorwürfen freigesprochen.


 

 
Urteil gegen Rudolf Belada (1. Seite)
» größere Ansicht


1. Seite des Urteils vom
14. Jänner 1948 gegen Rudolf Belada u. a. wegen Kriegsverbrechen und anderen Delikten.


Kriegsverbrechen