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Obwohl der Antisemitismus nach dem Holocaust weithin politisch-moralisch geächtet war und im Nachkriegsösterreich nur mehr wenige Jüdinnen und Juden lebten, verschwanden antisemitische Vorurteile keineswegs von der Bildfläche (»Antisemitismus ohne Juden«). Auch im demokratischen Österreich war und ist Antisemitismus in verschiedenen Formen und Dimensionen präsent: von »bloßen« Vorurteilen über Propaganda bis zu (allerdings seltenen) gewaltsamen Handlungen. Insbesondere die negativen Auswirkungen der Globalisierung werden von rechtsextremen Kreisen mit angeblich bestehenden internationalen Verschwörungen von Juden erklärt. Seit 1945 wird das Feindbild »Jude« allerdings nur mehr in offen neonazistischen Kreisen so benannt, ansonsten operiert man mit Codes, wie beispielsweise: ZOG (»Zionist Occupied Government«), »internationale Hochfinanz« oder »US-amerikanische Ostküste«. Bemerkenswert ist, dass trotz der geringen Zahl von Juden in Österreich und dem Auftauchen anderer Feindbilder (Slowenen, Gastarbeiter, Asylanten, Linksextreme, Schwule u. a.) die Juden im Zentrum rechtsextremer Propaganda blieben, bzw. wurden sogar andere Feindbilder, etwa Kommunisten, Amerikaner oder Freimaurer und fortschrittliche Künstler, als »Juden«, »verjudet« oder »jüdisch« etikettiert. Der religiös fundierte Antisemitismus, der rudimentär in Teilen der älteren Generation noch vorhanden ist, spielt in der Propaganda des modernen Rechtsextremismus kaum noch eine Rolle. Dies gilt insbesondere für die bekannten Stereotype von den Juden als Gottesmördern oder Hostienschändern. Lediglich der auf einer Ritualmordlegende beruhende Anderl-von-Rinn-Kult, der noch von fundamentalistisch-katholischen Außenseiterkreisen betrieben, aber von der katholischen Kirche radikal bekämpft wird, findet gelegentlich Erwähnung, wobei die Kritik an der als »progressiv« oder »links« qualifizierten Kirche im Vordergrund steht. Die – auf eine lange religiöse Tradition zurückblickende, von den Nazis ins Extreme gesteigerte – Dämonisierung der Juden findet weiterhin in großem Ausmaß, wenngleich in z. T. anderen Formen statt. Das Bild vom »zersetzenden« Juden, der abendländisches Denken, Kunst und Kultur zerstört, etwa in Form der modernen Kunst, geistert noch immer in einschlägigen Kreisen herum. Das wichtigste Stereotyp auf diesem Gebiet der Dämonisierung der Juden ist die Vorstellung vom »Weltjudentum«, dem Allmacht, Verschwörungsabsichten und Weltherrschaftspläne zugeschrieben werden. In diesem Zusammenhang findet sich immer wieder die angebliche »Kriegserklärung« des »Weltjudentums« an Hitlerdeutschland, mit der der Holocaust gleichsam als Verteidigungskrieg gegen die Juden interpretiert wird. Das Feindbild Juden/Freimaurer wird ergänzt durch Antiamerikanismus, der aufseiten der extremen Rechten nach 1989 die Stelle des früher dominierenden Antikommunismus eingenommen hat. Weiterhin hoch im Kurs sind Stereotype, die sich auf eine angeblich besondere Physiognomie der Juden beziehen, wie sie sich Antisemiten vorstellen. Antisemitische Karikaturen im Stile der NS-Hetzzeitschrift »Der Stürmer« von Julius Streicher finden sich immer wieder in rechtsextremen Organen. Insgesamt hat der Antisemitismus zwar an Ausmaß, Intensität und Aggressivität verloren, behauptet jedoch seinen Spitzenplatz als wichtigstes Feindbildkonstrukt des Rechtsextremismus auch weiterhin. Gegenwärtig ist ein internationaler Schulterschluss zwischen Holocaust-Leugnern und islamistischen Gruppierungen zu beobachten. |
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