|
Für die Ahndung der NS-Verbrechen wurden in Österreich nach Kriegsende eigene Gerichte, die Volksgerichte, geschaffen. Die Volksgerichte waren SchöffInnengerichte, bestehend aus drei LaienrichterInnen sowie zwei Berufsrichtern, von denen einer den Vorsitz führte. Ihre gesetzlichen Grundlagen bildeten das Verbotsgesetz (VG) und das Kriegsverbrechergesetz (KVG). Verfolgungsschwerpunkte dieser Gerichte bildeten:
Für die Volksgerichtsverfahren waren die Bestimmungen der österreichischen Strafprozessordnung über Berufung und Nichtigkeitsbeschwerde außer Kraft gesetzt worden. Die verhängten Strafen sollten ohne Aufschub vollstreckt werden, nur der Präsident des Obersten Gerichtshofs (OGH) hatte die Möglichkeit, das Urteil aufzuheben. Im Laufe ihrer Tätigkeit (1945 bis 1955) wurden an den Volksgerichtsstandorten in Wien, Graz, Leoben, Klagenfurt, Linz, Salzburg, Ried/Innkreis und Innsbruck in insgesamt 136.829 Fällen Vorerhebungen und Voruntersuchungen wegen des Verdachts nationalsozialistischer Verbrechen oder »Illegalität« eingeleitet. Von den 23.477 gefällten Urteilen waren 13.607 Schuldsprüche; 43 Angeklagte wurden zum Tode und 29 Angeklagte zu lebenslänglichem Kerker verurteilt. Der Großteil der Ermittlungstätigkeit und der Urteile der Volksgerichte (knapp 80 %) entfällt auf die Jahre 1945 bis 1948. Dass gerade in den ersten drei Nachkriegsjahren, als sowohl die materielle als auch die finanzielle Situation für die Justiz und Sicherheitsverwaltung besonders prekär war, trotzdem über 100.000 Volksgerichtsverfahren eingeleitet wurden, ist nach wie vor ein beinahe unbekanntes Kapitel der österreichischen Nachkriegsgeschichte. Die politischen Parteien setzten sich jedoch bereits ab 1947 für die Reintegration der ehemaligen NationalsozialistInnen und damit für potentielle WählerInnen ein: 1948 wurden die ersten Amnestien für ehemalige NationalsozialistInnen erlassen, welche ein Jahr später wieder wahlberechtigt waren. Der erste Versuch des österreichischen Parlaments, die Volksgerichte abzuschaffen, scheiterte 1950 am Veto des Alliierten Rates. Die Volksgerichte wurden schließlich nach Erhalt des Staatsvertrages im Jahre 1955 aufgehoben und die Verfolgung von nationalsozialistischen Gewaltverbrechen den Geschworenengerichten übertragen Bei der Beurteilung des Umgangs mit NS-Verbrechen muss man in Betracht ziehen, welche Verbrechen nicht geahndet wurden bzw. geahndet werden konnten: Zum einen gab es auch nach 1945 in Österreich teilweise kein Interesse daran, bestimmte Verbrechen zu ahnden. Bestes Beispiel dafür sind die Verbrechen an österreichischen Roma und Sinti. Gerade diese Volksgruppe wurde und wird nach wie vor diskriminiert, die begangenen Verbrechen an ihnen wurden als notwendige Disziplinierungsmaßnahmen abgetan. Aber auch andere Opfergruppen wie Homosexuelle, so genannte »Asoziale« oder Zeugen Jehovas spielten in der Volksgerichtsbarkeit kaum eine Rolle. Andrerseits konnten viele Verbrechen auch deshalb gerichtlich nicht geahndet werden, da die Täter ins sichere Ausland flüchteten. Die Rolle von Fluchtorganisationen, allen voran bestimmte Kreise in der katholischen Kirche wie die um Bischof Alois Hudal, der u. a. Eichmann und Franz Stangl sowie Josef Mengele zur Flucht verhalf, oder der Fluchthilfeaktion ODESSA sind noch nicht ausreichend erforscht. |
|