Entnazifizierung
Einführung
Entnazifizierung in Österreich
Alliierte Prozesse
Prozesse im Ausland
# Volksgerichtsprozesse
Geschworenenprozesse
Forschungsstelle Nachkriegsjustiz
home
Up
Down

Vor den Volksgerichten wurden Tausende Verfahren gegen Personen eingeleitet, die sich an der Beraubung der österreichischen Jüdinnen und Juden beteiligt oder von deren Entrechtung und Enteignung profitierten hatten. Das Volksgericht Wien hatte in diesem Zusammenhang die wichtigste Bedeutung, zumal der Großteil aller österreichischen Jüdinnen und Juden in Wien gelebt hatte.

Die gesetzliche Basis dafür bildete der § 6 KVG, der den Tatbestand der »missbräuchlichen Bereicherung« während der NS-Zeit beschrieb. Geahndet wurden damit die durch die NS-Vermögensverkehrsstelle kontrollierten »Arisierungen«, daneben aber auch Plünderungen und Raub, beispielsweise während der Pogrome.

Für die Anklagevertreter war es mitunter schwierig, die Bereicherung im Zuge einer »Arisierung« eindeutig nachzuweisen. Zur Beweisfindung gab das Gericht Sachverständigengutachten in Auftrag. Aber auch die Beschuldigten konnten Gutachten vorlegen. Die unterschiedlichen Bewertungen der jeweiligen Gutachten führten oft dazu, dass Beschuldigte im Zweifel freigesprochen oder Verfahren eingestellt wurden.

Das Volksgericht Wien leitete zwischen 1945 und 1955 gegen 5900 Personen Vorerhebungen bzw. Voruntersuchungen unter anderem wegen § 6 KVG ein. Die Verfahren gegen zirka 5000 Beschuldigte wurden jedoch vorzeitig eingestellt oder abgebrochen. Gegen 916 Personen wurden vom Volksgericht Wien Prozesse wegen missbräuchlicher Bereicherung durchgeführt, 589 Angeklagte wurden freigesprochen und 327 für schuldig befunden. Das bedeutet, dass beinahe zwei Drittel der Angeklagten freigesprochen wurde, was im Vergleich zu Urteilen wegen Illegalität (§§ 10 und 11 VG), Denunziation (§ 7 KVG), Misshandlung (§ 3 KVG) oder Verletzung der Menschenwürde (§ 4 KVG) als hoch anzusehen ist.

Generell ist in den Verfahren die besondere Zwangslage von Jüdinnen und Juden sehr oft unberücksichtigt geblieben. Die Tatsache, »AriseurIn« gewesen zu sein, wurde zudem mit zunehmendem zeitlichen Abstand zum NS-Regime als Kavaliersdelikt angesehen. Hand in Hand mit der unzureichend erfolgten materiellen »Wiedergutmachung« von entzogenem Vermögen ging eine nicht ernsthaft genug betriebene gerichtliche Verfolgung von »AriseurInnen.«

Ein Beispiel: Die Firma Egré & Co

Die Firma Egré & Co, Pelzhandel und Kürschnerbetrieb in Wien 1., Kärntnerstraße 4, war eines von vielen jüdischen Unternehmen, das nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten in Österreich enteignet und unter kommissarische Verwaltung gestellt wurde.

An der »Arisierung« des zur damaligen Zeit führenden Pelzhauses in Wien zeigte ein entsprechend großer Kreis von Personen Interesse. Unter ihnen befand sich auch der Wiener Rechtsberater Dr. Felix Volek, der als »verdienstvolles« Mitglied der NSDAP über die notwendigen Einflussmöglichkeiten verfügte. Gemeinsam mit zwei weiteren Gesellschaftern, dem reichsdeutschen Geldgeber Wilhelm Bauer und Karl Klusacek, bewarb er sich um die »Arisierung« des Unternehmens. Am 27. Oktober 1938 erteilte die Vermögensverkehrsstelle den drei Gesellschaftern die Genehmigung zur Übernahme der Firma Egré & Co.

Nach 1945 untersuchte die österreichische Justiz diesen Vermögensentzug. Beschuldigte waren Karl Klusacek und  Felix Volek (Wilhelm Bauer starb 1941). Mit der Erstellung eines in diesen Fällen üblichen Sachverständigengutachtens beauftragte das Gericht den beeideten Buchsachverständigen und Steuerberater Karl J. Kafka. 

Mitte Februar 1950 lag dem Gericht ein belastendes Gutachten vor, in dem den beiden Beschuldigten Dr. Felix Volek und Karl Klusacek vorgeworfen wurde, sich an Vermögenswerten der Firma Egré & Co missbräuchlich bereichert zu haben. In der Stellungnahme dazu verteidigte sich der Beschuldigte Dr. Volek – seiner Meinung nach hätte sich der »jüdische Vertragspartner« keinesfalls in einer persönlichen Zwangslage befunden und das Ehepaar Egré hätte die Käufer aus eigenem Ermessen frei auswählen können.

In einem Ergänzungsgutachten vom 19. Februar 1951 nahm Karl Kafka dazu Stellung. Er legte darin dem Gericht auf Grund fehlender Inventarlisten die Vernehmung von Zeugen nahe, blieb aber bei dem Ergebnis, dass sich die Beschuldigten bereichert hätten. Das Verfahren geriet daraufhin zusehends in eine Sackgasse, die Aufmerksamkeit der Justiz konzentrierte sich ausschließlich auf einen Teilaspekt: Die Bewertung des Warenlagers, das im Herbst 1938 – auf Grund des Zugriffes von kommissarischen Verwaltern und Abwesenheitskuratoren – zweifelsohne nur mehr über geringe Bestände verfügte. Das Blatt hatte sich nunmehr zu Gunsten der Beschuldigten gewendet. Die Konsequenz war die Einstellung des Verfahrens am 24. Juli 1951 – eine durchaus gängige Praxis in Verfahren wegen »Arisierungsverbrechen«.


 
Weitere Informationen zum Beitrag: Die »Arisierungen«

 
Gutachten
» größere Ansicht


Sachverständigengutachten in einem Verfahren wegen »Arisierung«.


Verfahren wegen »Arisierungsverbrechen«