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Volksgerichte beschäftigten sich auch mit Verbrechen in Konzentrationslagern, bislang konnten u. a. Gerichtsverfahren wegen Misshandlungen, Demütigungen und Morden in den Konzentrationslagern Mauthausen, Buchenwald, Sachsenhausen, Ravensbrück, Theresienstadt, Flossenbürg, Dachau und Auschwitz eruiert werden. Verbrechen in Mauthausen: Verfahren gegen Franz Doppelreiter Franz Doppelreiter war SS-Aufseher in Mauthausen sowie in den Außenlagern Gusen und Wiener Neustadt und galt als gefürchteter Schläger. Er misshandelte die KZ-Häftlinge brutal und unmenschlich – in vielen Fällen mit Todesfolge. Die Zahl der von ihm gequälten Opfer ist unbekannt – es dürfte sich um mehr als 200 Opfer handeln. Am 30. Mai 1946 erhob die Staatsanwaltschaft Wien Anklage gegen Franz Doppelreiter wegen Verbrechens der Quälerei und Misshandlung, zum Teil mit Todesfolge, nach § 3 KVG. Eine Erklärung für seine Handlungsweise konnte Doppelreiter in der Hauptverhandlung nicht geben. In mindestens 50 Fällen gab er aber zu, Häftlinge misshandelt zu haben, die Tötungsdelikte leugnete er vehement. Am 23. August 1946 wurde Doppelreiter zum Tod durch den Strang verurteilt, das Strafausmaß wurde 1949 im Wiederaufnahmeverfahren in eine lebenslängliche Haftstrafe umgewandelt. Prozesse wegen Verbrechen in Auschwitz: Häftlingscapos, selbst Opfer des NS-Regimes und von der SS zum willfährigen Instrument gemacht, wurden in Volksgerichtsverfahren nicht selten strenger als Angehörige der Lager-SS bestraft. Am 19. Oktober 1945 wurde das Verfahrens gegen Viktor Rueff wegen des Vorwurfs, als Blockältester seine Mithäftlinge im Außenlager KZ Blechhammer-Auschwitz misshandelt zu haben, eingeleitet. Viktor Rueff war konvertierter Jude, lebte nach Beginn des 2. Weltkrieges in Monaco und Frankreich, wurde aber im August 1942 verhaftet und deportiert. Bereits im Abschlussbericht der Staatspolizei klingt an, was für den gesamten Prozess charakteristisch ist: Rueff als Funktionshäftling und seine Taten werden gleichgestellt mit denen der SS-Lagerwachen. »Er tracktierte [sic!] seine Mithäftlinge auf dieselbe Art und Weise, wie die SS-Lagerwache.« Die Anklage legte ihm zur Last, Essen zurückgehalten und dieses gegen Zigaretten und Schokolade verschachert zu haben. Er habe jede Nacht – nach 16–17 Stunden Arbeitszeit – Reinigungsarbeiten angeordnet und seine Mithäftlinge geschlagen. In der Hauptverhandlung wurden 8 Belastungszeugen – alle ehemalige Auschwitzhäftlinge, die aber nicht dem Block von Rueff zugeteilt gewesen waren – vernommen. Das Gericht glaubte von Anfang an nicht an die Unschuldsbeteuerungen von Rueff und verurteilte ihn zu 3 Jahren schweren Kerkers und Vermögensverfall. Beachtenswert sind die vom Gericht ausgesprochenen erschwerenden Urteilsumstände: Neben dem Zusammentreffen zweier Verbrechen sei auch die Tatsache, »dass der Ang. [Angeklagte] seine eigenen Glaubensgenossen gequält und misshandelt hat«, als erschwerend anzusehen. Der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens wurde abgewiesen. (LG Wien Vg 4 Vr 2571/45) Am 16. Oktober 1947 wurde Anklage gegen den Tischlermeister Alfred Schinner wegen seiner illegalen Zugehörigkeit zur NSDAP und seiner Tätigkeit als Aufseher im KZ Auschwitz in den Jahren 1940 bis 1944 erhoben. Schinner war in den Jahren 1940 bis 1944 Angehöriger der Lagerwache und Aufsichtsperson in der Lagertischlerei in Auschwitz, er misshandelte zahlreiche Häftlinge bzw. forderte untergebene Capos auf, Misshandlungen an Gefangenen vorzunehmen. Am 30. Dezember 1947 wurde Schinner vom Gericht zu 1,5 Jahren schweren Kerkers verurteilt. Vom Vermögensverfall wurde allerdings Abstand genommen. Interessant erscheint die Urteilsbegründung: Schinner hatte in der Hauptverhandlung zugegeben, Häftlingen einige Male Ohrfeigen versetzt zu haben, »er habe dies aber nur dann getan, wenn er sie bei dem in der Tischlerei streng verbotenen Rauchen getroffen hätte. Anzeigen wegen des Rauchens habe er nie erstattet, denn dann wären die Häftlinge strenger bestraft worden. Er sei selbst überwacht worden und hatte beim Dulden des Rauchens strenge Strafen riskiert.« Als Milderungsgrund wurde vom Gericht zugestanden, »dass der Angeklagte durch sein Vorgehen Disziplinwidrigkeiten duldete, ohne sie zur Anzeige zu bringen«. Vergleicht man Tatvorwürfe und Ausgang dieses Prozesses mit jenem gegen Viktor Rueff, dann kann das Urteil gegen Schinner nur als mild bezeichnet werden. (LG Wien, Vg 1 Vr 2520/46)
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