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Engerau-Prozesse Zwischen 14. und 17. August 1945 führte das Volksgericht Wien den ersten Prozess wegen NS-Gewaltverbrechen in der 2. Republik durch. Angeklagt waren vier Wiener SA-Männer wegen Verbrechen an ungarisch-jüdischen Zwangsarbeitern, die beim so genannten Südostwallbau in Engerau (heute Petrzalka/Bratislava) Sklavenarbeit in Form von Schanzarbeiten leisten mussten. Die nationalsozialistischen Behörden richteten Ende November 1944 neben unzähligen anderen Lagern an der östlichen Grenze der »Ostmark« auch in Engerau ein Lager ein, in dem zirka 2000 ungarische Juden angehalten wurden. Bis zur Evakuierung des Lagers vor der heranrückenden sowjetischen Armee Ende März 1945 kamen Hunderte ungarische Juden aufgrund der unvorstellbaren hygienischen Bedingungen und aufgrund von Misshandlungen ums Leben oder wurden von der österreichischen Wachmannschaft ermordet. Mehr als hundert Menschen mussten auf dem »Todesmarsch« von Engerau über Hainburg nach Bad Deutsch-Altenburg und weiter auf dem Schiffstransport in das KZ Mauthausen ihr Leben lassen. Zwischen 1945 und 1954 fanden vor dem Landesgericht Wien als Volksgericht gegen mehr als 70 der für die Verbrechen verantwortlichen österreichischen SA-Männer und politischen Leiter insgesamt sechs Prozesse statt. Neun der Angeklagten wurden zum Tode verurteilt und hingerichtet, ein Angeklagter erhielt eine lebenslange Haftstrafe. Der Stein-Prozess Am 6. April 1945 waren auf Weisung des Direktors des Zuchthauses Stein a. d. Donau Franz Kodré alle Häftlinge zur Entlassung bestimmt worden. Als sich diese im Gefängnishof versammelten, drang der SA-Standartenführer Leo Pilz mit SS- und Volkssturmeinheiten in den Gefängnishof ein: Im Zuge des folgenden Massakers wurden 229 Häftlinge und fünf Justizwachebeamte, darunter auch Anstaltsleiter Kodré, erschossen. Die Täter wurden 1946 vor Gericht gestellt. Am 17. August 1946 verurteilte das Volksgericht Wien den SA-Standartenführer und Kreisstabsführer des Volkssturms für den Kreis Krems, Leo Pilz, den Stellvertretenden Leiter des Zuchthauses Stein, Alois Baumgartner, den Betriebsleiter der Schusterei des Zuchthauses Stein, Anton Pomassl, den Justizhauptwachtmeister Franz Heinisch sowie den Oberverwalter und obersten Kommandanten der Justizwache des Zuchthauses Stein, Eduard Ambrosch, wegen vielfachen vollbrachten Mordes sowie wegen Kriegsverbrechens und Verbrechens der Quälerei und Misshandlung nach dem Kriegsverbrechergesetz zum Tode. Der Hilfsaufseher Karl Sperlich, der Justizhauptwachtmeister und Betriebsleiter des Heizhauses Alois Türk, der Aufseher Karl Forster, der Hilfsaufseher Johann Doppler sowie der Justizhauptwachtmeister und Betriebsleiter der Druckerei des Zuchthauses Stein Franz Ettenauer erhielten eine lebenslange Haftstrafe. Die Todesurteile wurden am 28. Februar 1947 vollstreckt. Der Prozess gegen Dr. Jörn Lange Am Nachmittag des 1. April 1945 gab der damalige Prorektor der Universität Wien Dr. Viktor Christian die Order aus, dass auf ein im Rundfunk zu verlautbarendes Stichwort kostbare und für die Kriegsführung wichtige Apparate in den Universitätsinstituten zu zerstören seien. Diese Anordnung, die wenige Tage später von Christian abgeschwächt wurde (die Apparate sollten nur beschädigt, aber nicht zerstört werden), gab Dr. Friedrich Wessely, Professor am II. Chemischen Institut der Universität Wien den Vorständen im Institutsgebäude Währinger Straße-Boltzmanngasse, darunter dem 42-jährigen außerordentlichen Professor für physikalische Chemie Dr. Jörn Lange vom I. chemischen Institut, weiter. Der deutsche Staatsbürger Jörn Lange war stellvertretender Institutsvorstand. Ihm oblag aber die Leitung, da sich sein Vorgesetzter, Prof. Dr. Ebert, bereits mit mehreren Assistenten und unter Mitnahme zahlreicher Apparate nach Westen abgesetzt hatte. Er begann unverzüglich mit den theoretischen Vorarbeiten für die Unbrauchbarmachung bestimmter Geräte, vor allem eines wertvollen Elektronenübermikroskopes. Die beiden Assistenten Dr. Kurt Horeischy und Dr. Hans Vollmar stellten sich Lange entgegen, als dieser am 5. April mit der Zerstörung des Mikroskops beginnen wollte. Lange gab jedoch ohne Vorwarnung einen Schuss auf Dr. Horeischy ab, der in der Folge an der Schussverletzung starb. Im darauf folgenden Handgemenge wurde auch Vollmar von Lange erschossen. Dr. Jörn Lange wurde am 15. September 1945 vom Volksgericht Wien wegen teils vollbrachten, teils versuchten gemeinen Mordes sowie wegen boshafter Beschädigung fremden Eigentums nach dem österreichischen Strafgesetz zum Tode verurteilt (LG Wien Vg 1a Vr 720/45), entzog sich seiner Hinrichtung aber durch Selbstmord am 21. Jänner 1946. |
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