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Nach dem Abbruch der Aktion »T4« 1941 wurde die Euthanasie in den einzelnen Anstalten des Deutschen Reichs bis 1945 fortgesetzt. Insbesondere die Wagner von Jauregg-Heil- und Pflegeanstalt der Stadt Wien »Am Steinhof« entwickelte sich ab 1941 zu einem Zentrum des organisierten Massensterbens, an dem maßgeblich die Leitung und das Personal der Anstalt, die Wiener Gemeindeverwaltung, die Wiener NSDAP-Gauleitung, die Zentraldienststelle »T4« in Berlin, der Reichsbeauftragte für die Heil- und Pflegeanstalten und die Wehrmacht beteiligt waren. Zur Überbelegung und pflegerischen Vernachlässigung traten Medikamentenknappheit, Nahrungsmittelentzug sowie die Ausbreitung von Infektionskrankheiten wie Tuberkulose, Ruhr und Typhus. Die Wechselwirkung zwischen Hunger und Infektionskrankheiten erwies sich dabei als besonders letal. Dem Zusammenwirken dieser Faktoren erlagen verstärkt jene Patienten, die 1943 im Zuge der so genannten »Aktion Brandt« (benannt nach dem Hauptorganisator Dr. Karl Brandt) in Sammeltransporten in die Anstalt Wien-Steinhof gelangt waren. Die Ausweitung des Luftkrieges lieferte den Anlass, Heil- und Pflegeanstalten in luftgefährdeten Gebieten zu räumen. Tatsächlich dienten diese Patientenverlegungen zur Verschleierung der Todesbeschleunigungen: Von den 550 Anstaltspfleglingen, die aus Hamburg, Bad Kreuznach und Mönchengladbach nach Wien-Steinhof transferiert wurden, starben bis Ende 1945 über 450; das entspricht einer Sterberate von über 80 %. Dem Hungersterben am Steinhof fielen von 1941 bis 1945 insgesamt mehr als 3.500 Pfleglinge zum Opfer, die Sterblichkeit stieg von 13,9 % (1941) auf 22,14 % (1944) und erreichte 1945 mit 42,76 % ihren Höhepunkt. Auch in anderen österreichischen Anstalten wurde dezentral gemordet. In den Anstalten Mauer-Öhling und Gugging brachte der 1943 provisorisch eingesetzte Direktor Dr. Emil Gelny praktisch in Eigenregie mittels Medikamenten, Injektionen und eines speziell konstruierten Elektroschockgeräts an die 600 PatientInnen zu Tode. Patiententötungen mit Medikamenten und durch Mangelernährung sind in größerem Umfang ebenso für die Siechenanstalt Klagenfurt (Dr. Franz Niedermoser) wie für die Anstalten Niedernhart/Linz (Dr. Rudolf Lonauer) und Graz-Feldhof belegt. Auch bei den anstaltsinternen Tötungen leisteten Angehörige von Pfleglingen Widerstand. So gelang es Wilhelm Roggenthien, seine von Hamburg nach Wien-Steinhof verlegte Freundin Wally Hartung vor dem sicheren Hungertod zu retten, indem er sich als ihr Verwandter ausgab und nach einigem Tauziehen schließlich ihre Entlassung erreichte.
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