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Die erste verbrecherische Maßnahme, die die Nationalsozialisten nach ihrer Machtergreifung auf dem Gebiet der »Erb- und Rassenpflege« durchführten, war die zwangsweise, das heißt staatlich angeordnete Sterilisierung (Unfruchtbarmachung) von »Erbkranken« durch das »Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses« vom 14. Juli 1933. Als »Erbkrankheiten« galten: angeborener Schwachsinn, Schizophrenie, zirkuläres (manisch-depressives) Irresein, erbliche Fallsucht, erblicher Veitstanz (Huntingtonsche Chorea), erbliche Blindheit, erbliche Taubheit, schwere erbliche körperliche Missbildung sowie schwerer Alkoholismus. Moderne Anthropologen und Humangenetiker haben im Übrigen festgestellt, dass aufgrund der Komplexität der Vererbung »Erbkrankheiten« mittels Sterilisierung nicht ausgeschaltet werden können. Die Gesundheitsämter waren für die Erfassung der potenziellen Opfer verantwortlich. Die Betroffenen mussten sich einem Verfahren vor dem »Erbgesundheitsgericht« unterziehen, das ihnen wenige Chancen auf Verteidigung ließ. Die ärztlichen Diagnosen, die den Entscheidungen zugrunde lagen, beruhten nicht selten auf sozialen Werturteilen. Sobald die Unfruchtbarmachung rechtskräftig beschlossen war, setzten die Gesundheitsämter diese allenfalls unter Einsatz von Polizeigewalt durch. Die Eingriffe wurden in eigens dazu ermächtigten öffentlichen Krankenanstalten vorgenommen. Das reichsdeutsche Sterilisierungsgesetz wurde per Verordnung am 1. Jänner 1940 in der »Ostmark« eingeführt. Im Unterschied zum »Altreich«, in dem es an die 400.000 Zwangssterilisierungen gab, nahm die Zahl der davon Betroffenen in Österreich mit etwa 5.000 Menschen ein relativ geringes Ausmaß an, da zu diesem Zeitpunkt bereits die weitergehenden Maßnahmen der Euthanasie praktiziert wurden. InsassInnen von psychiatrischen Anstalten, von Jugendfürsorgeanstalten und den Arbeitslagern für »asoziale« Frauen waren besonders gefährdet. In einzelnen Fällen war die Unfruchtbarmachung mit einer gleichzeitigen Zwangsabtreibung verbunden. Die Sterilisierung stellte vor allem bei Frauen einen gefährlichen Eingriff dar. Ein nicht unerheblicher Anteil der Opfer starb an den Folgen der Operation oder trug lebenslange körperliche und psychische Schädigungen davon. Bis 1995 wurden die von der Zwangssterilisierung betroffenen Menschen nicht als NS-Opfer anerkannt. |
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