Exil
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Rudolf Schober: »Rudl, jetzt brennen wir!«

1910–1998, Wien, Metalldreher. Nach Februarkämpfen 1934 Flucht in die CSR, von dort nach Moskau, Ende 1936 nach Spanien, 1939 zurück in die Sowjetunion. Oktober 1945 Rückkehr nach Österreich, Parteiangestellter der KPÖ.

[Rudolf Schober wurde mit Franz Löschl über Finnland und Schweden nach Kopenhagen durchgeschleust und traf dort auf vier weitere Freiwillige.] In Kopenhagen haben wir übernachtet und haben abends, wie wir einen Spaziergang machten, vier von unseren Vorgängern [die schon zuvor aus der Sowjetunion abgereist waren] getroffen. Das waren Franz Tesar, Viktor Lenhart, Franz Berger und Hugo Müller. Die konnten nicht fliegen, weil schlechtes Wetter war, und so hatten sie für das gleiche Flugzeug gebucht. Aber wir durften uns klarerweise nicht kennen, obwohl wir uns sehr gut kannten. Mit dem Hugo Müller und dem Berger waren wir ja im Kaukasus noch wenige Monate vorher zusammen gewesen und die vier waren wie wir »Moskauer«.
Es gab eine Fluglinie Kopenhagen–Amsterdam–Paris und eine Linie Kopenhagen–Hamburg–Amsterdam–Paris. Wir haben die erste Linie gewählt, weil es für uns nicht sehr angenehm war, in Hamburg zwischenzulanden und kontrolliert zu werden. Mit uns waren noch 16 Passagiere, unter anderen auch drei oder vier Kinder; das hat man aber alles erst nach unserer Notlandung bemerkt. Es war eine dänische Maschine, eine JU 52, eine dreimotorige Propellermaschine. Wir sind drinnen gesessen und haben geschaut, die Küste haben wir zur linken Hand gesehen, also wir flogen in Küstennähe über dem Meer. Plötzlich haben wir einen Schlag verspürt, es fing zu rumpeln an. Vor mir ist der Franz Berger gesessen. Der Franz dreht sich um und sagt zu mir: »Rudl, jetzt brennen wir.« Ich habe nicht gleich begriffen, was er meint, aber das war schon ein Konspirationsfehler, weil wir sollten uns ja nicht kennen, es war ein spontaner Ausspruch vom Franz. Wir haben dann bemerkt, dass beim linken Triebwerk – das sind so Stern-Motoren bei den JU 52 – der Propeller gebrochen war. Die Flieger haben gesagt, sie sind in einen Schwarm von Möwen geflogen. [...] Die Ursache haben uns die Flieger selbst erklärt nach der Notlandung auf dem Feld. Es soll der Schlag eines Vogels – sie nahmen an, dass es eine Möwe war – gewesen sein. Dadurch dass die Rotoren so austariert sind, genügt ein kleiner Stein, den man auf eine bestimmte Stelle wirft, dass der Propeller bricht. Durch das plötzliche Aussetzen der Rotation des Propellers ist die Zuleitung abgerissen. Der Motor ist aber nicht heruntergefallen, er ist noch gehängt ... Und die Benzinzufuhr konnten sie nicht so rasch drosseln, weil sie es wahrscheinlich auch nicht so rasch bemerkt haben, sodass auf der linken Seite beim Motor Flammen hochgestiegen sind. [...] Wir landeten auf einem Acker. […] Wir wussten nicht, wo wir waren. Wir glaubten, wir wären in Holland. 100 oder 150 Meter weg haben wir ein kleines Bauerndorf gesehen. Kinder sind gelaufen gekommen. Die Kinder haben uns gesagt: Wir haben euch beobachtet, ihr habt Glück gehabt. Das war eine Sprache wie das Holländische. Dabei war es das Platt vom Bezirk Neustadt. Aber uns ist dann gleich klar geworden, wo wir sind, nachdem kurze Zeit später durch den Hohlweg ein Motorrad mit einem Beiwagen gekommen ist, und im Beiwagen ist ein sehr solider Herr gesessen mit einer Hakenkreuzbinde. Da haben wir gewusst, wo wir sind.


Ferdinand Berger: Ohne Waffen kann man ganz einfach nicht kämpfen

1917–2004, Graz, Automechaniker. 1934–1936 mehrmalige Inhaftierung wegen Betätigung für den Kommunistischen Jugendverband, Ende 1937 nach Spanien, 1939–April 1940 Internierung in Frankreich, Préstataire-Kompanie (unbewaffneter militärischer Arbeitsdienst), Februar 1941–Mitte 1944 KZ Dachau, bis zur Befreiung 1945 KZ Flossenbürg. Nach 1945 Dienst in der Polizei, ehrenamtlicher Mitarbeiter des DÖW.

Als ich nach Spanien kam, war die Situation nicht ganz so mies. Gerade vorher war die Teruel-Offensive der republikanischen Armee. Wie ich an die Front gekommen bin, folgte die Gegenoffensive der Faschisten, und dann ist es Schritt für Schritt zurückgegangen. Dass der Krieg so nicht zu gewinnen war, war offensichtlich. Von uns hat man überhaupt fast kein Flugzeug gesehen. Wir haben eine Flak [Fliegerabwehrkanone] stehen gehabt an einer Front. Wenn wirklich ein Flugzeug von uns gekommen ist oder ein paar Jäger, haben die Faschisten ein Flakfeuer raufgelegt, das katastrophal war. Man hat eindeutig die Überlegenheit der Faschisten gesehen, besonders krass war: Wir sind an der Front vor Valencia gestanden, hinter einem Berg. Vor dem Berg war eine Ebene, und hinter dem Berg ist die Hauptkraft der republikanischen Artillerie gestanden. Das war dieser Fleck, wo wir drei Batterien zusammen waren. Die faschistischen Flieger sind pro Tag fünf-, sechsmal gekommen. Wir haben fast ununterbrochen geschossen. Und wir haben schon eine Freude gehabt, na ja, da hat man dann doch gesehen, nach einer Woche oder zehn Tagen, aha, bei dieser Staffel sind nur mehr zwei und da sind nur mehr zwei. Und auf einmal sind sie am nächsten Tag wieder voll aufgefüllt gekommen. Also, man hat gesehen, man kann schießen, man kann kämpfen, wie man will, gegen diese Übermacht ist ganz einfach nicht anzukommen. Denn es kommen ganz einfach wieder neue Maschinen, und wir haben unser Geschütz, das bei dem Rohrkrepierer kaputt gegangen ist, nie mehr ersetzen können. Wir haben ab diesem Zeitpunkt mit drei Geschützen geschossen. Es hat keinen Nachschub gegeben, außerdem haben wir es bei der Munition gesehen usw. In dieser Richtung war es eindeutig, dass die Unterlegenheit so krass ist, dass mit einem Sieg überhaupt nicht zu rechnen ist. Es könnte nur eine politische Lösung gefunden werden, dass die Demokratien eingreifen, was eventuell möglich gewesen wäre. Und als schuldig an diesem Desaster ist – meiner Meinung nach richtig – hervorgehoben worden die Nichteinmischung, die Nichtinterventionspolitik, weil ohne Waffen kann man ganz einfach nicht kämpfen.


Emanuel Edel: Sozusagen der Lehrbub

1910–1991, Wien, Arzt. 1937 Spanien, 1939–1942 Internierung in Frankreich, Anklage wegen »Hochverrats«, Flucht, unter dem Namen »Roger Dumaine« im französischen Widerstand, ab Jänner 1945 beim Österreichischen Freiheitsbataillon in Jugoslawien. Nach Kriegsende Polizeiarzt, Präsident des Bundesverbandes österreichischer Widerstandskämpfer und Opfer des Faschismus.

Ich war dann in den so genannten Frontspitälern. Da war ein Spital – in Villareja de Henares –, unter sehr schwierigen Bedingungen, Tag und Nacht wurde bombardiert, es stand sogar unter Maschinengewehrbeschuss – weswegen man die Verwundeten in der Nacht hinaustragen hat müssen. Ich habe dort Tag und Nacht gearbeitet und kaum geschlafen. Wenn ich zurückdenke, was ich da in Wien gelernt habe, war nicht zu gebrauchen. Da sind auch für mich als Arzt schwere Probleme entstanden. Ich habe nicht gewusst, wie man ein zertrümmertes Bein amputieren kann. Wann habe ich das gelernt? Ich habe ungefähr gewusst, wo die Arterien laufen. Und da habe ich sehr viel von einem Team englischer Ärzte und Schwestern gelernt. Ich war dort sozusagen der Lehrbub. Wir sind einmal 72 Stunden in ständigem Einsatz gestanden, bei Bombardierung ohne Licht – bei Kerzenlicht haben wir gearbeitet, ständig Hände waschen und zum Nächsten. Können Sie sich das vorstellen?


Bruno Furch: Sisyphusarbeit

1912–2000, Wien, Lehrer. Mitglied des Kommunistischen Jugendverbands, mehrmals inhaftiert. Nach dem März 1938 Spanien, 1939 Internierung in Frankreich, Mai 1941 KZ Dachau, ab Juli 1944 KZ Flossenbürg, April 1945 Flucht aus einem der Todesmärsche. Nach 1945 Redakteur der »Volksstimme«.

Auf der Sierra Pandols lag die 15. Brigade. Das war ein Hochplateau, zur Hälfte von uns und zur anderen Hälfte von den Faschisten besetzt. Die Sierra Cavalls und die Sierra Pandols waren Schlüsselstellungen der Republikanischen Armee, und um sie tobten die schwersten Kämpfe. Es gab ununterbrochen Angriffe der Faschisten auf unsere Stellungen, denen immer schwere Artillerie-Bombardements vorausgingen. Die Faschisten waren uns an Artillerie und an Luftwaffe gewaltig überlegen. Unsere Artillerie konnte in der Früh ein paar Schüsse abgeben und musste dann sofort die Stellung wechseln, weil darauf kam die Antwort, die war verheerend, hageldicht. Die Faschisten hatten eine Artilleriekonzentration in diesem Abschnitt, die der von Verdun gleichkam. Artillerie-Bombardement bedeutete, dass die Linien, die Telefonlinien kaputt waren. Kaum geht das los, funktioniert schon die Verbindung nicht mehr. Das war eine Sisyphusarbeit. Man hat das Schnürl in der Hand und läuft und läuft und läuft und findet das Ende und sucht das andere Ende, und mittlerweile krachen und heulen die Granaten vorbei. Dann stellt man die Verbindung her, das heißt, man verbindet die Drähte und isoliert sie und dann probiert man, ruft an nach rückwärts. Es funktioniert. Ruft an nach vorne. Es funktioniert noch nicht, also weiterrennen, bis man wiederum etwas findet, und mittlerweile kracht es noch immer in der Gegend wie verrückt. Die Splitter, die Steine sausen herum. Dann stellt man fest, bei der nächsten Kontrolle, bei der nächsten Flickarbeit, die Verbindung nach rückwärts ist auch schon wieder hin. Nach vorne funktioniert es auch nicht. Also, was tun? Zurückrennen, wieder flicken, wieder nach vorne rennen, sodass man während der ganzen artilleristischen Vorbereitung des Angriffs praktisch draußen war und eigentlich die Linien nie funktioniert haben.


Hans Landauer: Wie am Servierbrett

Geb. 1921, Oberwalterdorf (NÖ), Textilarbeiter, Blattbindergehilfe. Juni 1937 nach Spanien, 1939 Internierung in Frankreich, November 1940 Verhaftung in Paris, April 1941 Anzeige wegen Verdachts der »Vorbereitung zum Hochverrat«, Juni 1941 bis 29. 4. 1945 KZ Dachau. Nach 1945 im Polizeidienst, ehrenamtlicher Mitarbeiter des DÖW (Aufbau und Betreuung der Spanien-Dokumentation).

Am 4. September [1937] bin ich verwundet worden. Am frühen Morgen sind wir in Mediana durch den Walter Thoss, unseren Stabschef, in Täler geführt worden und haben auf der anderen Seite, vielleicht zwei bis drei Kilometer entfernt, auf den Hügeln Militär gesehen, Faschisten. Wie sich später dann herausgestellt hat, waren es Fremdenlegionäre. Wir wollten dann Stellung beziehen, auf einmal haben wir von links und rechts überall Feuer bekommen, und es hat nur eines gegeben: davonlaufen. Sonst wären wir ins Kreuzfeuer geraten. Wir hatten aber schon zwei Tage vorher überall auf den Hügeln Schützengräben ausgehoben, in Erwartung des Angriffes. Es sind dann die Flieger gekommen, Alfa Romeo haben sie geheißen, glaube ich. Zwei Mann in einem Kampfflieger, hinten das Maschi-nengewehr auf einem Bügel, der Schütze beugt sich herunter, das Flugzeug wird quergestellt – du musst dir vorstellen, da gibt es keinen Baum und keinen Strauch. Du bist wie am Servierbrett, eine Hasenjagd. Und die kreisen in einem fort herum und befetzen dich. Wir haben uns dann zurückgezogen. Der Alois Brust ist gefallen. Am Nachmittag sagt zu mir der Kompaniekommandant Vinzent Porombka: »Lauf zurück zum Bataillonsstab. Der ist beim weißen Haus von Mediana!« Das ist so ein Straßenwärterhaus. »Wir brauchen Munition. Wir können nicht mehr, wir haben nichts mehr!« Ich laufe also zurück, es war so im schönen Abendsonnenschein. Ich bin 20 Meter vor dem Haus, dort steht ein Per-sonenwagen, komisch bestrichen, mit Tarnfarbe. Ich treffe den Walter Thoss, vor uns steht eine Tragbahre, auf ihr liegt ein Verwundeter. Ich zeige mit der linken Hand auf die Tragbahre. In dem Moment geht 's »pscht« – das hörst du nicht kommen, den Schuss eines Flachbahngeschützes, Antitank-Geschütz, 4,5 cm. Zehn Meter vor uns schlägt die Granate ein. Ich spüre nur mehr eine Wärme um meine Finger und fahre so auf die Finger hin, blicke nach links und sehe, wie der Walter Thoss – er war ein kleiner Mann, unheimlich tapfer, ich glaube, er ist siebenmal verwundet worden im Spanischen Bürgerkrieg – sich auf einmal um die eigene Achse dreht und niederfällt. Der Splitter, der in meine Finger gegangen ist, ist ihm in die Brust gegangen. Ich habe es aus dem linken Mittelfinger warm herausrinnen gespürt und weiß nicht, wer es gesagt hat, jedenfalls: »Rein in den Wagen!« Ich habe mich in den Wagen gesetzt, der Walter Thoss wurde neben mich gelegt, aus seiner Brust ist das Blut geflossen, und dann ging 's ab ins Hinterland.


Paul Jellinek: In der Weltgeschichte herumgegondelt

1910–1985, Wien, kaufmännischer Angestellter. November 1937 nach Spanien, 1939 Internierung in Frankreich, Préstataire-Kompanie (militärischer Arbeitsdienst ohne Waffe), im Auftrag des französischen Widerstands Dolmetscher in einer deutschen Dienststelle, Ostern 1943 Festnahme in Südfrankreich, Haft in Auschwitz (bis Jänner 1945) und Buchenwald (bis zur Befreiung am 11. 4. 1945). Rückkehr nach Wien, Angestellter der KPÖ. Nach 1968 Zugehörigkeit zum Kreis um das »Wiener Tagebuch«.

Eines schönen Tages heißt es: Morgen fahren wir per Schiff von Valencia nach Barcelona. Das war eine grausame Fahrt. Wir wurden in die tiefsten Unterdecks hineingepfercht, am Oberdeck durfte niemand bleiben. Das war nicht sehr angenehm, weil wir auch nicht gewusst haben, was passiert. Die Faschisten mit ihren U-Booten sind ja auch dort gewesen. Das war unmittelbar vor dem Fall von Barcelona, so um den 20. Jänner 1939 herum. Aber wir sind glücklich nordöstlich von Barcelona angekommen und sind während eines Fliegeralarms auswaggoniert worden. Vor dort sind wir direkt nach La Bisbal gebracht worden, einen Ort ca. 100 km nach Barcelona. Kaum waren wir dort, heißt es: Barcelona ist gefallen. Wir waren vielleicht zwei Tage dort, mehr oder weniger in Zivil. Viele haben sich schon irgendwo Zivilhosen organisiert. Barcelona ist gefallen, eine halbe Million Katalanen sind auf der Flucht zur französischen Grenze. Wir müssen die Faschisten aufhalten, dass die Zivilbevölkerung sich zurückziehen kann. Wir bekommen Gewehre, und Maschinengewehre bekommen wir, wer meldet sich freiwillig? Es war klar, dass sich viele freiwillig gemeldet haben, obwohl wir alle schon mit den Gedanken in Frankreich waren. [...] Jedenfalls wurde uns gesagt, wir bekommen – wir haben gesagt, wir haben ja mehr oder weniger keine Infanterieausbildung – Kanonen. Wir waren so an die 20 Österreicher. Es hat geheißen, es wird eine Einheit aufgestellt und wir werden dort hingebracht. Wir sind da in der Weltgeschichte herumgegondelt und haben keine Ahnung gehabt ohne Waffen. Wenn Faschisten gekommen wären, hätten wir nur die Hände heben müssen. Wir haben keine Waffen gehabt, gar nichts. Zu einem Einsatz ist es nicht gekommen. Dann sind wir eines schönen Tages Richtung Grenze marschiert. Zu essen haben wir nichts gehabt. Irgendwo hat man sich dann doch ein bisschen etwas aufgetrieben bei der Zivilbevölkerung. Vollkommen wild sind wir herumgegondelt.


 

 
Notlandung
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Notlandung in der Nähe von Hamburg, Ende 1936.

Rudolf Schober
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Eine Delegation der XI. Internationalen Brigade besucht das Tschapaiew-Bataillon, Frühjahr 1937.

Rudolf Schober
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Rudolf Schober bei einem Flakgeschütz der Interbrigadisten.

Rudolf Schober u. a. Ferdinand Berger u. a.
Emanuel Edel Anerkennung für Emanuel Edel
Hans Landauer Paul Jellinek
Paul Jellinek

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