Das nationalsozialistische Deutschland betrieb den Anschluss Österreichs weniger aus nationalen Überlegungen, sondern aus Kalkül: Österreich bildete den Brückenkopf zur Eroberung von Ost- und Südosteuropa. 1934 musste sich Hitler vom Putschversuch österreichischer Nationalsozialisten noch distanzieren, da er zu diesem Zeitpunkt außenpolitische Schwierigkeiten mit England, Frankreich und Italien befürchtete. Österreich sollte nun »von innen« politisch, wirtschaftlich und kulturell nationalsozialistisch unterwandert werden. 1938 hatte sich die Lage so entwickelt, dass Hitler die »Österreichfrage« in Angriff nehmen konnte. Innerhalb der österreichischen Bevölkerung bildeten die nationalsozialistischen Aktivisten bis zum März 1938 zwar nicht die Mehrheit, dennoch fand der »Anschluss« breite Akzeptanz. Die Gründe dafür waren vielfältig: Einerseits hatte der autoritäre Ständestaat trotz der staatlichen Souveränität Österreichs immer wieder vor Hitler kapituliert und so die Entstehung eines Österreichpatriotismus untergraben, andererseits hatte er sich durch die brutale Unterdrückung der Arbeiterbewegung seines wichtigsten Bündnispartners im Kampf gegen den Nationalsozialismus beraubt. Die politischen und wirtschaftlichen Probleme ließen die Lebensfähigkeit Österreichs vielen Österreichern und Österreicherinnen unmöglich erscheinen; vor allem hatten sie bei vielen zur Ablehnung der von mehreren politischen Strömungen gekennzeichneten parlamentarischen Demokratie und zur Empfänglichkeit für Ideologien, die anti-modernistische Heilslehren und eine »starke Führung« versprachen, geführt. Die NS-Propaganda stellte nicht nur in Aussicht, die Arbeitslosigkeit zu beseitigen und die Lebensbedingungen zu verbessern, sondern verbreitete auf Schlagworte reduzierte Botschaften (»Schicksals- und Blutgemeinschaft«), deren Unbestimmtheit ein breites Feld unterschiedlicher (wie z. B. großdeutscher) Sehnsüchte, Erwartungen und Ressentiments (wie z. B. Rassismus, Antisemitismus) ermöglichte.
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